Pressefreiheit auf der Anklagebank

Julian Assange‘s Anwältin über den Kampf gegen seine Auslieferung und die Kriminalisierung von Journalismus weltweit.

Am Montag, den 5. April 2010 veröffentlichte Julian Assange ein schockierendes Video im National Press Club in Washington DC. Das berüchtigte Video, das Wikileaks mit „Collateral Murder“ betitelt hat, wurde 2007 von einem Apache-Hubschrauber des US-Militärs aufgenommen, der über Bagdad Al-Jadida im Irak flog. Es zeigt, wie US-Streitkräfte 12 Menschen töten, darunter zwei Mitarbeiter von Reuters*, Saaed Chmagh (40 Jahre alt) und Namir Noor Eldeen (ein aufstrebender Reuters-Videographer). Das Video stammt aus einem US-Kampfhubschrauber. Der Reuters-Fahrer Saaed Chmagh hat den ersten Angriff überlebt. Er scheint zu versuchen sich wegzukriechen, während der US-Apache-Helikopter über ihn hinweg fliegt. Die US-Streitkräfte eröffnen dann erneut das Feuer als sie einen SUV vorfahren sehen, der den verwundeten Saaed Chmagh in Sicherheit bringen will. Bei dem SUV, der den Verwundeten zu Hilfe kam, handelte es sich um einen Vater, der seine beiden Kinder zur Schule gebracht hatte und bei diesem Angriff ebenfalls schwer verwundet wurden. Das ist das Video, für dessen Enthüllung Julian Assange in 17 Punkten nach dem US-Spionagegesetz angeklagt wurde und im Falle einer Auslieferung in die USA eine 175-Jährige Haftstrafe auf ihn wartet.

Dieser Tage in London vor dem British High Court…

Assange‘s Anwälte haben das Gericht gebeten, ihm das Rechtsmittel der Berufung zu gewähren, was wahrscheinlich seine letzte Chance ist eine Auslieferung an die USA zu verhindern. Die beiden Richter, die den Fall verhandeln, behalten sich ihre Entscheidung vor und ein Urteil wird frühestens im nächsten Monat erwartet. Sollten die Richter gegen Assange entscheiden, kann er den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen, um seine Auslieferung zu blockieren. Die britische Regierung hat jedoch bereits im Juni 2022 einen Auslieferungsvertrag unterzeichnet. Während der zweitägigen Anhörung, die diese Woche in London stattfand, versammelten sich Hunderte von Demonstranten vor dem Gericht, um Assange zu unterstützen.

Jennifer Robinson, Rechtsanwältin für Menschenrecht und eine von Julian Assange’s Anwälten gibt Einblicke in die Gerichtsverhandlung in London, die wohlmöglich seine letzte Chance sein wird seine Auslieferung in die USA zu verhindern.

Dies ist möglicherweise Julians letzte Berufung in Großbritannien. Julian Assange’s Anwälte haben die Erlaubnis zur Berufung beantragt, die Ende letzten Jahres abgelehnt wurde. Und wenn sie dieses Mal keinen Erfolg haben, kann Julian in Großbritannien keine weitere Berufung mehr einlegen. Das Gericht war offen für die Argumente. Es wurden Argumente angehört, warum seine Auslieferung verhindert werden sollte. Wir hörten eine lange Darstellung des Anwaltsteams von Assange über die Auswirkungen der Enthüllungen von Wikileaks über Folter, Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Krieg der USA gegen den Terror, in der Assange strafrechtlich verfolgt und bestraft wurde, weil er Beweise für die Kriminalität des US-Staates enthüllt hat, was seine Auslieferung verhindern sollte. Eines der Argumente von Assange’s Anwaltsteam war, daß Julian bei einer Auslieferung an die USA aufgrund der in der Anklageschrift angeführten Fakten möglicherweise mit der Todesstrafe rechnen muß, während die USA nicht zugesichert haben, daß dies bei einer Auslieferung nicht der Fall sein wird. Die Richter waren darüber sehr beunruhigt, ebenso wie über die Argumente hinsichtlich der Meinungsfreiheit. So hörten wir vor Gericht eine lange Erklärung darüber, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte tun würde, wenn er mit dem Fall von Chelsea Manning, dem Militärbeamten, der angeblich Material an Wikileaks weitergegeben hat konfrontiert wäre und wie das Gericht Julian als Journalist/Verleger behandeln würde. Das Urteil besagt, daß es sich um eine geschützte Tätigkeit im Sinne der europäischen Rechtsprechung handelt und er deshalb nicht ausgeliefert werden sollte. Die Richter waren sehr beunruhigt über den Fall, aber es bleibt abzuwarten, wie sie entscheiden werden.

Die Anwälte der USA waren nicht in der Lage sich mit den wichtigen Fragen der Meinungs- und Pressefreiheit in diesem Fall auseinanderzusetzen. Tatsächlich fragte einer der Richter nach, als die USA ihre Argumente vorbrachten. „Nun, was würde in diesem Rechtssystem passieren, wenn ein Journalist Geheimdienstinformationen über ein Fehlverhalten der Geheimdienste erhält und diese in einer Zeitung veröffentlicht. Würden Sie sagen, daß es keinen Schutz der Meinungsfreiheit gibt?“. Das Anwaltsteams der US-Regierung konnte die Frage nicht beantworten. Es zeigt, daß die Richter in diesem Land besorgt über den Präzedenzfall sind, den dieser Fall schafft. Es wird schon seit vielen Jahren darauf hingewiesen, daß dieser Präzedenzfall, im Falle der Auslieferung Julian Assange, im Grunde bedeutet, daß jeder Journalist oder Verleger in diesem Land verfolgt und an die USA ausgeliefert werden kann. Die Richter sind eindeutig beunruhigt über diese Fragen der freien Meinungsäußerung in diesem Fall und auch beunruhigt über die nahelegende Tatsache, daß die Wahrscheinlichkeit groß ist, daß Julian Assange in den USA der Todesstrafe nicht entkommen wird. Weiter stellten die Richter die Frage: „Ist es möglich, daß Julian in den USA mit der Todesstrafe rechnen könnte?“ zu der das Anwaltsteam der US-Regierung bejahrte, woraufhin die Richter fragten: „Nun, welchen Schutz gibt es dagegen und warum gibt es keine Sicherheit, daß die Todesstrafe nicht verhängt wird?“. Hierzu antworteten sie: „Nun, es gibt keine Sicherheit!“. Die Richter hätten hier eine ganze Reihe von Argumenten anführen können. Überraschend war, daß das Anwaltsteam der US-Regierung nicht in der Lage sowie nicht bereit war einige dieser Fragen zu beantworten.

Es wurden auch von den Enthüllungen von Yahoo News über das CIA-Komplott zur Entführung und Ermordung von Julian Assange angeführt. Es gab Zeugenaussagen von einem geschützten Zeugen, der Beweise dafür lieferte, daß es in der Botschaft Pläne gab Julian zu vergiften sowie geschmiedete Pläne, um möglicherweise eine Tür offen zu lassen, damit jemand hereinkommen, um Julian Assange entführen und töten zu können. Vor der letzten Beweisanhörung lagen die Beweise für die CIA-Verschwörung nicht vor, deshalb hat das Anwaltsteam von Assange das Gericht um die Erlaubnis gebeten diese als neue Beweise zuzulassen. Diese Beweise werden sie in Bezug auf die Art und Weise vorbringen, da sie einige der umfassenderen Argumente untermauern für die Julian für die Aufdeckung von Staatsverbrechen bestraft wird. Denn natürlich gab es unter der Obama-Regierung, wie wir uns alle erinnern können, eine Entscheidung Assange nicht anzuklagen. Es gab eine laufende Untersuchung der Grand Jury aber es wurde beschlossen keine Strafverfolgung einzuleiten. Die Entscheidung zur strafrechtlichen Verfolgung kam von der Trump-Administration und wurde erst getroffen nachdem Wikileaks 2017 das CIA-Material veröffentlicht hatte. Zu der Zeit sahen wir, wie Mike Pompeo sich zu Wort meldete und Formulierungen wie „Wikileaks als feindlicher nichtstaatlicher Geheimdienst“ verwendete und Jeff Session als Justizminister erklärte, es sei plötzlich eine Priorität, Assange wegen dieser historischen Veröffentlichungen zu verfolgen. Dies ist sowohl die politische Natur der Strafverfolgung als auch die Tatsache zeigt, daß dies von der Trump-Administration als Vergeltung für die Veröffentlichungen über die CIA als Teil dieses umfassenderen Plans verfolgt wurde, einschließlich eines Plans, Julian Assange zu entführen und zu töten. Dies birgt die Gefahr und das extreme Risiko, dem Julian ausgesetzt sein wird, wenn er in die USA ausgeliefert wird.

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, daß das Anwaltsteam von Assange den Fall vor ein paar Jahren auf der Grundlage der unehrenhaften Haftbedingungen gewonnen haben, denen Julian ausgesetzt wäre, wenn er unter besondere administrative Maßnahmen (SAM) gestellt würde. Zusammen mit seiner depressiven Erkrankung und seiner autistischen Diagnose sowie die anerkannten medizinischen Befunde vor dem Gericht attestieren, daß die Gefahr bestünde Julian Assange könne Selbstmord begehen. Die USA boten daraufhin eine bedingte Zusicherung an und sagten dem Gericht: „Nun, Sie können ihn an uns ausliefern. Wir werden ihn nicht unter diese Bedingungen stellen, es sei denn, er tut etwas, daß dies rechtfertigen würde“. Wer entscheidet, ob er unter Haftbedingungen untergebracht wird, die laut medizinischem Befund zu seinem Tod führen werden? Sind das die Geheimdienste? Assange‘s Anwaltsteam hätten keine Möglichkeit das zu überprüfen. Das ist eine wirklich ernste Situation und deshalb sind sie so besorgt über seine Auslieferung an die USA, zumal die CIA eine Entführung und Ermordung Julian Assange’s plante.

Letzte Woche hat die australische Regierung mit überwältigender Mehrheit einen Antrag angenommen, in dem die Freilassung von Julian, der australischer Staatsbürger ist gefordert wird. Die Resolution wurde vom australischen Abgeordneten Andrew Wilkey eingebracht, der die Woche nach London reiste, um an der Anhörung von Assange teilzunehmen. Er sprach vor dem Gerichtsgebäude über den Fall und verwies auf das berüchtigte Video aus dem Jahr 2007, welches zeigt, wie ein Kampfhubschrauber des US-Militärs im Irak auf Zivilisten schießt und 12 Menschen tötet, darunter zwei Journalisten von Reuter. 


Hier die Rede des Abgeordneten Andrew Wilkey vor dem Gerichtsgebäude in London: „Wer erinnert sich an den Kollateralmord? Wer kann das körnige Schwarz-Weiß-Bild eines amerikanischen Kampfhubschraubers vergessen, der unschuldige Iraker und Reuters-Journalisten abschießt, wer kann sich daran erinnern? Und hier haben wir den Wahnsinn, daß der Mann, der die Wahrheit gesagt und aussagekräftige Beweise für US-Kriegsverbrechen geliefert hat, derjenige ist, der vor Gericht steht. Es hätten die Piloten des Kampfhubschraubers sein sollen. Aber zumindest ist jetzt der gesunde Menschenverstand ausgebrochen. Das australische Parlament hat endlich abgestimmt. Der australische Premierminister ist endlich aufgestanden und hat den Amerikanern ein klares, starkes Signal gegeben, daß es genug ist, unabhängig davon, was man von Julian hält. Diese Angelegenheit muß zu Ende gebracht werden. Die Auslieferung Assange, die Anklagen gegen ihn müssen fallen gelassen werden. Er muss aus Bel Marsh herausgeholt werden. Ihm muss erlaubt werden wieder mit seiner Familie zusammen zu kommen/zu vereinen, denn Julian Assange ist ein Held und kein Verbrecher.“.

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Mehr Informationen
Quelle: https://collateralmurder.wikileaks.org/
alternativer Link: https://www.youtube.com/watch?v=is9sxRfU-ik

Auf die Veröffentlichung des Videos folgte die Veröffentlichung hunderttausender digitaler Aufzeichnungen des US-Militärs über den Irak-Krieg und den Afghanistan-Krieg. Im November 2022 veröffentlichten fünf große Zeitungen, die mit WikiLeaks zusammenarbeiteten, einen gemeinsamen Brief, in dem sie ein Ende der Strafverfolgung von Julian Assange forderten. Sie schreiben:

„Die Beschaffung und Offenlegung sensibler Informationen, wenn dies im öffentlichen Interesse notwendig ist, ist der Kern der täglichen Arbeit von Journalisten. Wenn diese Arbeit kriminalisiert wird, wird unser öffentlicher Diskurs und unsere Demokratie erheblich geschwächt“.

Das Anwaltsteam von Julian Assange hat sich sehr gefreut, daß Andrew Wilkey, der seit vielen Jahren einer der stärksten Unterstützer von Julian ist, sich ihnen vor Gericht angeschlossen hat. Sie haben im australischen Parlament zusammengearbeitet, um diese Art von Unterstützung zu sammeln. Was wir bei der Verabschiedung dieser Resolution durch das australische Parlament gesehen haben ist ein Präzedenzfall, denn das Parlament hat erstmalig eine Resolution zu einem Einzelfall dieser Art verabschiedet, in der ausländische Regierungen aufgefordert werden einen australischen Staatsbürger freizulassen. Das ist ein klares Signal, welches von der australischen Regierung kommt. Wir wissen, daß der australische Premierminister dies gegenüber US-Präsident Biden zur Sprache gebracht hat und sagte, daß es genug sei und Julian Assange nach Hause kommen solle. Das Anwaltsteam von Assange hat jetzt diese beispiellose politische Unterstützung vom australischen Parlament erhalten und es ist an der Zeit, daß die USA ihnen Gehör schenkt. Australien hat eine besondere Beziehung zu den USA. Die USA hat nunmehr gehört, daß es der Wille der australischen Regierung, des australischen Parlaments und des australischen Volkes ist, daß Julian Assange nach Hause gebracht werden soll. Hier geht es nicht nur um einen australischen Bürger. Natürlich handelt die australische Regierung jetzt und das Anwaltsteam Assanges ist dem Premierminister sehr dankbar für seine prinzipientreue Führung in dieser Sache und für seine Unterstützung in dieser Angelegenheit. Aber es geht auch um die amerikanische Pressefreiheit, die amerikanische Verfassung, den Journalismus in den USA und dieser Fall wird einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. Das tut er auch jetzt schon. Er hat eine abschreckende Wirkung auf die nationale Sicherheit und den Journalismus von öffentlichem Interesse in den USA. Wenn Julian ausgeliefert und unter dem US-Spionagegesetz vor Gericht gestellt wird, ist dies ein Fall, der einen Präzedenzfall schaffen wird, in der journalistische Aktivitäten kriminalisiert werden und gegen den Rest der Medien – im Kontext einer Präsidentschaftswahl – verwendet wird, bei der wir durchaus eine weitere Trump-Präsidentschaft erleben könnten, sollte von großer Sorge sein, nicht nur für alle Australier, weil Julian Assange ein australischer Staatsbürger ist, sondern auch für die Amerikaner und ihre Pressefreiheit.

Es ist dem Anwaltsteam gelungen, mit Julian Assange telefonisch zu sprechen sowie ihn kurz vor der Gerichtsverhandlung im Gefängnis zu besuchen. Julian ging es wirklich schlecht und wir wissen aufgrund der medizinischen Befunde, daß die Gefahr eines Selbstmords besteht. Dies ist wirklich das Ende der Fahnenstange in diesem Fall. Dies könnte seine letzte Berufung sein. Sein Anwaltsteam wird natürlich versuchen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen, um ihn vor der Auslieferung zu schützen, wenn sie in diesem Anhörungsverfahren keinen Erfolg haben. Aber das ist keine garantierte Maßnahme. Wir nähern uns dem Ende und das zollt massiven Tribut für Julian‘s psychische wie physische Gesundheit. Als Folge der vielen Jahre, die er in der ecuadorianischen Botschaft festgehalten wurde und nicht nach draußen gehen konnte, ging es ihm schon nicht gut. Jetzt, nach mehr als fünf Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis, in dem er praktisch isoliert ist, ist es für ihn eine enorme Belastung, daß er nicht einmal in der Lage war, persönlich oder online seine eigene Berufungsverhandlung zu verfolgen. Das zeigt, wie kritisch sein gesundheitlicher Zustand ist.


Freiheit für Assange
Bild: Redaktion
Titelbild aus dem Video Collateral Murder: https://collateralmurder.wikileaks.org/
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