Profit aus humanitärer Hilfe: Ohne einen anderen Ausweg aus dem Gazastreifen

Profit aus humanitärer Hilfe

Ein Unternehmen, das einem einflussreichen ägyptischen Geschäftsmann und Verbündeten von Präsident Abdel Fattah el-Sisi gehört, nimmt täglich rund 2 Millionen Dollar von Palästinensern ein, die vor Israels Krieg gegen den Gazastreifen fliehen.

Hala Consulting and Tourism Services, eine Firma im Besitz des Sinai-Stammesführers und Wirtschaftsmagnaten Ibrahim al-Organi, verlangt von Palästinensern, die von Rafah im Gazastreifen nach Ägypten fliehen, mindestens 5000 Dollar pro Erwachsenen und 2500 Dollar für Kinder unter 16 Jahren. Das Unternehmen hat das Monopol für die Erbringung von Transferleistungen am Grenzübergang in Rafah, dem einzigen Ausgang des Gazastreifens, der nicht an Israel grenzt und die einzige Route für Palästinenser aus der Küstenenklave darstellt.

Allein in den letzten drei Monaten hat das Unternehmen schätzungsweise mindestens 118 Millionen Dollar oder 5,6 Milliarden ägyptische Pfund von verzweifelten Palästinensern eingenommen, die versuchen, dem Völkermord am Gazastreifen zu entkommen.

Obwohl Hala und Organi in den letzten Monaten im Visier der internationalen Medien stand, hat das Unternehmen seine Gewinne aus den Palästinensern im April verdoppelt, wobei die durchschnittlichen Tagesgebühren mehr als 2 Millionen Dollar betragen.

Die von investigative Journalisten durchgeführte Analyse der von Hala online veröffentlichten Liste der Reisenden zeigt, dass das Unternehmen im letzten Monat mindestens 58 Millionen Dollar an 10.136 Erwachsenen und 2910 Kindern verdient haben, die die Grenze über die „VIP-Liste“ überquerten. Der Tagesdurchschnitt von 2 Mio. $ pro Tag im April ist etwa doppelt so hoch wie der geschätzte Tagesumsatz im März. Die größten Gewinne im April wurden am Dienstag verzeichnet, als Hala anscheinend allein an diesem Tag mindestens 2,3 Millionen Dollar mit palästinensischen Flüchtlingen verdiente. Wenn sich der April-Durchschnitt fortsetzt, könnte das Unternehmen bis Ende des Jahres weit über eine halbe Milliarde Dollar mit der so genannten VIP-Liste von Personen verdienen, die Hala über die Grenze zwischen Gaza und Ägypten transportiert.

Der „VIP“-Transferdienst von Hala wurde erstmals am 2. Februar registriert. Davor berichteten palästinensische und ägyptische Quellen, dass mehrere Vermittler daran beteiligt waren, die Ausreise von Palästinensern auf willkürliche, dezentrale Weise zu koordinieren. Vor Februar wurden den Palästinensern für die Ausreise aus dem Gazastreifen bis zu 11 000 Dollar pro Erwachsenen berechnet, bis Hala das Geschäft monopolisierte und die Gebühren standardisierte. Vor dem Krieg verlangte Hala von allen, die den Gazastreifen über den Grenzübergang in Rafah verließen, 350 Dollar pro Person, aber für Palästinenser ist der Preis um das 14-fache gestiegen.

Anhand der seit dem 2. Februar veröffentlichten Listen von Reisenden kann aufgezeigt werden, dass Hala im Februar mindestens 21 Mio. $, im März 38,5 Mio. $ und im April 58 Mio. $ an Palästinensern verdient habe. Die Zählung stützt sich auf 23 veröffentlichte Listen vom Februar, 30 vom März und 30 vom April. Diese Schätzungen berücksichtigen nicht die Gewinne, die möglicherweise in den ersten vier Kriegsmonaten erzielt wurden, als das Geschäft am Grenzübergang in Rafah noch nicht von Hala monopolisiert worden war. Über die Gewinne von Hala zwischen dem „Beginn des Krieges“ vom 7. Oktober und dem Januar gibt es keine öffentlichen Aufzeichnungen.

Nach Angaben des palästinensischen Botschafters in Kairo, Diab Allouh, sind seit Kriegsbeginn schätzungsweise 80.000 bis 100.000 Palästinenser aus dem Gazastreifen über Ägypten geflohen. Die Einnahmen von Hala und anderen Firmen von Organi unterliegen keiner bekannten Aufsicht, und es gibt keine öffentlichen Aufzeichnungen, die Aufschluss darüber geben, wofür das Geld ausgegeben wird oder wer davon profitiert.

Mohannad Sabry, ein ägyptischer Schriftsteller und Sinai-Experte, sagte, es sei nicht überraschend, dass der ägyptische Staat nichts unternimmt, um Ibrahim al-Organi daran zu hindern, die schiere Verzweiflung der Palästinenser, die vor dem Völkermord aus Gaza flüchten, auszunutzen.

Mohannad Sabry: „Al-Organi ist eine Fassade für die staatlichen und militärischen Unternehmen und deren Politik in Ägypten. Er ist ein Rädchen in dieser dunklen, korrupten Maschinerie, die ungestraft funktioniert“.

Das Problem mit al-Organis Geschäftsaktivitäten ist laut Sabry, dass sie Teil eines größeren, undurchsichtigen Wirtschaftssystems sind, das vom ägyptischen Militär kontrolliert wird. Sabry bezeichnete das System als „Black Box“ und sagte, dass nicht nur die Einzelheiten seiner Funktionsweise ein Geheimnis seien, sondern dass es in Ägypten niemandem erlaubt sei, sich auch nur um Informationen darüber zu bemühen. Al-Organi ist ein Verbündeter des ägyptischen Präsidenten und des Militärs und gilt weithin als der einflussreichste Stammes- und Geschäftsmann auf der Sinai-Halbinsel. Im Januar 2022 ernannte der ägyptische Präsident Sisi, Ibrahim al-Organi zum Mitglied der Sinai-Entwicklungsbehörde, einer staatlichen Behörde mit ausschließlicher Kontrolle über die Entwicklungs- und Bauaktivitäten auf der Halbinsel. Anfang April nahmen die Sicherheitskräfte Aktivisten fest, die dagegen protestierten, dass al-Organi und sein Unternehmen von den schutzbedürftigen Palästinensern profitierten. Gegen einige dieser Aktivisten wurde wegen der Teilnahme an den Demonstrationen Anklage wegen „Verbreitung von Fake News“ und „Zusammenarbeit mit einer terroristischen Vereinigung“ erhoben.

Ägypten hat wiederholt Anschuldigungen zurückgewiesen, dass es aus dem Elend der Palästinenser Profit schlägt. Im Februar bestritt Außenminister Sameh Shoukry, dass seine Regierung die von Hala erhobenen Gebühren für den Grenzübertritt in Rafah billigte. In einem Interview mit Sky News sagte er, seine Regierung prüfe dies bereits und werde Maßnahmen gegen jeden ergreifen, der in solche Aktivitäten verwickelt sei.

Sameh Shoukry – Außenminister Ägypten: „Es sollte in dieser Situation kein Profit aus dem Elend und der Verzweiflung der Palästinenser gezogen werden.“.

Doch auch zwei Monate später verlangt Hala weiterhin unerschwingliche Gebühren von Palästinensern, die vor dem Völkermord aus Gaza fliehen. Dadurch wurden viele Menschen gezwungen genug Geld durch Online-Spendenaktionen zu organisieren, um den kriegsgebeutelten Gazastreifen verlassen zu können.

Die Muttergesellschaft von Hala, die Organi-Gruppe, und die ägyptische Regierung wurden aufgefordert dazu Stellung zu beziehen, doch eine Antwort blieb aus.

Der Grenzübergang in Rafah zu Ägypten war und ist die einzige Flucht für alle Palästinenser, die den von Israel geführten barbarischen Krieg gegen Gaza zu spüren bekamen. Israel hat seit dem vom Hamas angeführten Angriff auf südisraelische Gemeinden am 7. Oktober alle anderen Landübergänge für palästinensische Reisende geschlossen. Theoretisch wird der Grenzübergang von der ägyptischen Regierung kontrolliert. Doch Israel, das den Gazastreifen auch nach internationalem Recht illegal besetzt hält, schränkt den Personen- und Warenverkehr über Rafah stark ein.

In der Zwischenzeit haben die Unternehmen von Organi wie Hala enorme Gewinne erzielt, indem sie von Kriegsgeflüchtete und Lastwagenfahrer Tausende von Dollar für die Ein- und Ausreise in den Gazastreifen verlangen. Im Januar teilte eine internationale Wohltätigkeitsorganisation mit, dass sie gezwungen sei, 5000 Dollar pro LKW in Form einer „Verwaltungsgebühr“ an ein Unternehmen zu zahlen, das mit den Sons of Sinai verbunden ist, einem anderen Unternehmen, das Organi gehört und die Durchfahrt von Handels- und Hilfslieferwagen über Rafah kontrolliert. Die Hilfsorganisation bezeichnete die Zahlung als Bestechung und warf dem ägyptischen Staat vor, aus der humanitären Hilfe Profit zu schlagen.

Menschenrechtsgruppen haben die Beschränkungen als Verschlimmerung der Notlage der Palästinenser im Gazastreifen bezeichnet.

Amr Magdi, leitender Forscher bei Human Rights Watch: „Ägyptens Beschränkungen der Bewegungsfreiheit über Rafah, die seit vielen Jahren bestehen, haben ein räuberisches Geschäftsgebaren vieler Akteure ermöglicht, die von Reisenden erpresserische Gebühren verlangen. Die ägyptischen Behörden sollten derartige Praktiken der Hala Company untersuchen und sicherstellen, dass die Menschen in einem transparenten System, das Rechte und Gesetze respektiert und einhält, reisen können.“.

Ein Palästinenser, der mit seiner Familie von Gaza nach Ägypten ausgereist war, bezeichnete das System als „üble Ausbeutung“. Die Familie mußte vor einigen Wochen Zehntausende von Dollar an Hala zahlen, um den kriegsgebeutelten Gazastreifen zu verlassen. Darin enthalten ist ein zusätzlicher Betrag von 1000 Dollar pro Person für einen Schnelldienst, der ihre Überstellung innerhalb von drei Tagen nach der Registrierung bei der Hala-Zentrale in Nasr City in Kairo sicherstellen sollte. Diese Dienstleistung wurde jedoch nie erbracht, und die Familie musste stattdessen die normale Bearbeitungszeit von 25 Tagen abwarten, um den Gazastreifen zu verlassen. Diese palästinensische Familie sagte, es fühle sich von Hala „betrogen“. Bevor sie den Gazastreifen verließen, wurde die Familie zweimal durch die Kämpfe aus ihrer Heimat gewaltsam vertrieben. Es wohnte in Rafah. Ihr Zuhause wurde durch das Bombardement seitens Israel zerstört. Ein in den USA lebender Verwandter half ihnen, die Gebühren über eine Online-Crowdfunding-Kampagne aufzubringen. Sie sagten, daß es herzzerreißend sei, da sie dieses Geld für den Wiederaufbau ihrer Häuser hätte verwenden können.

Unschuldigen Menschen sterben einen grausamen Tod, doch werden Geschäfte mit ihren Seelen gemacht. „Genocide profiteering is a new low.“. Wo bloß ist in dieser Welt nur die Moral oder ein Mindestmaß an menschlichem Anstand geblieben?

Bild: MEE
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