Julian Assange: wegen den Enthüllungen von US-Staatsverbrechen drohen ihm 175 Jahre Haft

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Der zweite und letzte Tag des kritischen Berufungsverfahrens für den Wikileaks-Gründer Julian Assange fand vor dem britischen High Court of Justice statt. Es könnte die letzte Chance für Assange sein, seine Auslieferung an die Vereinigten Staaten zu verhindern. Julian Assange ist nach dem US-Spionagegesetz angeklagt und muss mit einer 175-jährigen Haftstrafe rechnen, weil er Dokumente veröffentlicht hat, die Kriegsverbrechen der USA im Irak und in Afghanistan aufdecken. Assange konnte auch an dieser Anhörung wegen seines schlechten Gesundheitszustands nicht teilnehmen und ist nach Angaben seines Anwalts nicht einmal in der Lage, das Verfahren per Video zu verfolgen. Julian Assange wird seit 2019 im Londoner Belmarsh-Gefängnis festgehalten, davor war er 7 Jahre lang in der Botschaft Ecuadors in London inhaftiert. Ecuador hat ihm politisches Asyl gewährt. Am Dienstag sagten Assanges Anwälte dem Gericht, daß der Fall politisch motiviert sei, da Assange wegen der Aufdeckung staatlicher Verbrechen ins Visier genommen wurde, während die Anwälte der US-Regierung argumentierten, daß Assanges Verfolgung vielleicht beispiellos sei, aber was er getan habe, sei eben beispiellos, sagten sie.

Bei der zweitägigen Anhörung im Berufungsverfahren vor dem britischen High Court geht es lediglich darum, ob Julian Assange das Recht hat, gegen seine Auslieferung an die USA Berufung einzulegen. Diese Entscheidung wurde vor ein paar Jahren getroffen und er möchte sie in der Sache selbst anfechten. Seine Anwälte gingen im Verfahren auf den Hauptpunkt ein, daß es sich um eine politische Verfolgung handelt, die nach dem Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Großbritannien von 2003 verboten ist. Man kann jemanden nicht wegen politischer Vergehen in die USA ausliefern. In der US-Anklageschrift wird er unter dem Spionagegesetz angeklagt, also als Spion und das ist ein politisches Vergehen. Sie argumentierten auch, daß dies gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. In Artikel 7 geht es um die Vorhersehbarkeit. Als er 2010 mit der Veröffentlichung der US-Kriegsverbrechen begann, konnte er nicht wissen, daß das, was er tat, eine Straftat darstellte, da er noch nie von der US-Regierung strafrechtlich verfolgt wurde, auch nicht, als er die Namen von menschlichen Informanten preisgab. Sie beriefen sich dann auf Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in dem es um Redefreiheit, freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit geht. Auch das ist natürlich ein massiver Verstoß gegen diesen Artikel, wenn Assange an die USA ausgeliefert wird. Die US-Anwälte versuchten Julian Assange‘s als investigativen Journalismus abzusprechen und diesen vor Gericht zu unterscheiden. Sie sagen, er sei kein Journalist, er sei ein Hacker, ein Informatiker, obwohl es natürlich für jeden klar ist, daß Assange ein Journalist ist. Er hat mehr Verbrechen des mächtigsten Landes der Welt aufgedeckt, als irgendjemand in der Geschichte je getan hat.

Wenn man sich die Argumente der beiden Anwälte anschaut, ist klar, daß die Zulässigkeit der Berufung Assange’s unbestritten ist, denn die ursprüngliche Entscheidung der Bezirksrichterin Vanessa Baraitser vom Januar 2021 blockierte die Auslieferung von Julian Assange an die Vereinigten Staaten, allerdings basiert die damalige Begründung auf wackligen Grund. Richterin Vanessa Baraitser stimmte praktisch mit jedem Punkt und Komma der US-Anklage zu, sagte aber, daß Julian Assange selbstmordgefährdet sei und die Auslieferung aus diesem Grund blockiert werden sollte.

Die USA legten daraufhin Berufung ein und gewannen diese. Sie sagten, daß sie ihn nicht so behandeln würden, wie es die Bezirksrichterin angenommen hatte und daß sie ihn nicht unter extrem unehrenhaften Haftbedingungen unterbringen würden. Diese Richterin begünstigte die USA, womit Assange nie erlaubt wurde, gegen das ursprüngliche Urteil Berufung einzulegen. Wir müssen also für die britische Gerechtigkeit, für die globale Gerechtigkeit – in diesem Fall geht es um den globalen Journalismus – eintreten, denn Assange ist australischer Staatsbürger, der die sogenannten Verbrechen, die die USA anklagt, außerhalb der USA begangen hat. Wenn Großbritannien Julian Assange an die USA ausliefert, würde das den USA eine extraterritoriale Reichweite geben, mit der sie überall auf der Welt hingehen können, sich jeden Journalisten schnappen, der Informationen veröffentlicht, die ihnen nicht gefallen und sie in die Vereinigten Staaten ausliefern lassen, um dort unter ihrer Jurisdiktion denjenigen zur Anklage zu bringen. Das ist äußerst besorgniserregend, nicht nur für den Journalismus in Großbritannien, sondern für jedes Land auf dieser Welt.

Mitte Februar 2024 hat das australische Parlament mit überwältigender Mehrheit einen Antrag angenommen, in dem Julian Assange‘s Freilassung gefordert wird. Ist das überhaupt von Bedeutung für den Verlauf dieser Anhörungen oder für das, was folgen könnte?

Es wird nicht davon ausgegangen, daß dies von Bedeutung ist, denn wir kennen den politischen Druck, der auf die US-Regierung ausgeübt wird. Es gab Präsidenten auf der ganzen Welt, von Lula bis Petro in Kolumbien, und sie alle haben die USA aufgefordert, diesen Fall fallen zu lassen. Sie alle haben gefordert, daß die USA diesen Fall fallen lassen soll, da dies ein massiver Verstoß gegen die Pressefreiheit sei, aber die USA hielt an der Anklage gegen Julian Assange fest. Und dann gibt es zivilgesellschaftliche Organisationen auf der ganzen Welt, die sich für die Pressefreiheit einsetzen, die sagen, daß dies ein massiver Verstoß gegen die Pressefreiheit sei. Das hat keine Auswirkungen auf eine der beiden Parteien, denn natürlich wurde diese Anklage zuerst von der Trump-Administration vorgebracht und dann von der Biden-Administration weitergeführt, es ist also ein parteiübergreifender Konsens in Washington, um Julian Assange zu schnappen. Aber was soll Assange in diesem Fall schützen, wenn er vom politischen System in den USA durch eine unabhängige Justiz in Großbritannien verfolgt wird. Die britische Justiz wurde in diesem Fall vom Staat gekapert, was eines der ersten Anzeichen von Autoritarismus ist, und zwar nicht nur vom britischen Staat, sondern auch vom US-Staat, was auch für das Strafsystem gilt. Man frage sich, warum Julian Assange im Belmarsh Hochsicherheitsgefängnis in London sitzt, das als Großbritanniens Guantanamo bezeichnet wird und voll von Vergewaltigern, Pädophilen und Terroristen ist. Er wurde in Großbritannien noch nie wegen etwas anderem als einem Verstoß gegen die Kaution angeklagt und verurteilt, und diese Verurteilung wurde in weniger als zwei Jahren verbüßt, und er befindet sich immer noch in Untersuchungshaft, und das schon seit fast fünf Jahren. Die ganze Sache war also von Anfang an suspekt, so daß nicht allzu viel Hoffnung in das britische Justizsystem gesetzt wird. Die Hoffnung liegt vielmehr in der weltweiten öffentlichen Meinung und wie wir sehen können, haben sich die Menschen vor dem britischen High Court versammelt, die Julian Assange in Großbritannien unterstützen.

Diese Unterstützung gibt es durch die Mainstream-Medien oder die Zivilgesellschaft nicht in dem Maße, wie es der Fall sein sollte, aber das könnte den Lauf der Dinge ändern und man hoffe, daß dieser Druck Wirkung zeigt. Es könnte für die britische Justiz so schlecht aussehen, wenn sie keine Berufung zulässt und es so weiter laufen lässt. Aber wir wissen es nicht. Dieser Fall war von Anfang an suspekt und politisch motiviert.

Interessant ist, daß diese Geschichte in Großbritannien zwei Seiten hat: Vor Ort gibt es eine Menge Leute, die ihn unterstützen. Tausende von Menschen haben sich vor dem Gelände des britischen High Court versammelt, die viel Lärm machen. Diese Menschen verstehen, was in diesem Fall auf dem Spiel steht, denn es geht nicht nur um Julian Assange, es geht natürlich darum, das Leben eines mutigen Journalisten zu retten, der Staatsverbrechen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß aufgedeckt hat, aber es geht auch um uns alle. Es geht um den Kern der Freiheit in Großbritannien, in den Vereinigten Staaten, weltweit, und nicht nur auf kurze Sicht. Wenn die USA sich Assange auf diesem Wege schnappt, werden sie den dadurch geschaffenen Präzedenzfall nutzen, um mehr und mehr Menschen zu verfolgen. Das wird ein großer Sargnagel für den investigativen Journalismus sein, für jede Art der Veröffentlichung von Informationen, die den Staatsmächten nicht gefallen, und es wird von repressiven Regimen auf der ganzen Welt als Beispiel dafür verwendet werden, was sie tun können, wenn die USA das darf. Wenn ein Land wie die Türkei, das Hunderte von Journalisten ins Gefängnis steckt, dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Sie können einfach sagen: „Seht her, die USA haben sich Julian Assange geholt und ihn für den Rest seines Lebens ins Gefängnis gesteckt, weil er ihre Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, warum können wir das nicht auch tun?“.  Sie können dann auch sagen: „Nun, die so genannten unabhängigen britischen Richter haben dieser Auslieferung zugestimmt und sie selbst durchgeführt, also hat Großbritannien keine Handhabe“. Wir sprechen hier also über wirklich sehr ernste, grundlegende Fragen. Diese Fragen müssen vor einem britischen Gericht verhandelt werden. Die Anwälte von Assange wollen das Recht haben, daß diese Berufung und diese grundlegenden Fragen über einen längeren Zeitraum für alle öffentlich diskutiert werden.

Es sollte auch erwähnt werden, daß Assange’s Anwaltsteam vor Gericht den Yahoo-News-Artikel in die Verteidigung einbrachten, in dem 34 ehemalige US-Beamte zu Protokoll gaben, daß hochrangige Vertreter der Trump-Administration und der CIA Pläne skizziert hatten, Julian Assange in London zu töten oder zu entführen, weil ihnen seine Berichterstattung nicht gefiel. Demnach sollte die Anklage um Julian Assange sofort fallen gelassen werden. Wie kann man einen Journalisten und Verleger an das Land ausliefern, das nachweislich ein Attentat auf ihn plant? Hinzu kommen weitere Enthüllungen, daß die CIA seine vertraulichen Gespräche mit seinen Anwälten ausspioniert hat. Auch hier gilt: In jedem normalen Fall würde der Fall einfach abgewiesen werden, aber dies ist kein normaler Fall, und das britische Justizsystem wendet in diesem Fall weder die Rechtsstaatlichkeit noch die Rechtsprechung an.

Im Fall von Daniel Ellberg, der den amerikanischen Zuschauern gut bekannt sein müßte, dem Fall der Pentagon-Papiere, wurde sein Verfahren eingestellt, weil aufgedeckt wurde, daß in der Nixon-Regierung in die Praxis seines Psychiaters eingebrochen wurde, um ihn in den Medien zu verleumden. Das ist nicht so schlimm, wie das, was wir über das, was sie Assange angetan haben, gehört haben, aber die britische Justiz scheint gegenüber dem Mord und der Spionage der CIA unempfindlich oder stocktaub zu sein.

Der Enthüllungsjournalist Michael Isikoff titelte seinen Beitrag in Yahoo News: „Entführung, Ermordung und eine Schießerei in London: Die geheimen Kriegspläne der CIA gegen Wikileaks“. Er beschreibt detailliert, wie die CIA erwog, Assange zu entführen und möglicherweise zu ermorden, während er in der ecuadorianischen Botschaft in London Zuflucht suchte, um einer Auslieferung zu entgehen. Mehr als 30 ehemalige Beamte beschrieben, wie der damalige CIA-Direktor Mike Pompeo offenbar motiviert war, sich an Wikileaks zu rächen, nachdem das Unternehmen sensible CIA-Hacking-Tools namens Vault 7 veröffentlicht hatte, die die Behörde als den größten Datenverlust in der Geschichte der CIA bezeichnete. 

Michael Isikoff erklärt den Attentatsversuch so: Was Mike Pompeo, den neuen CIA-Direktor wirklich aus der Fassung brachte war, daß das Vault-7-Leck unter seiner Aufsicht stattfand und daß es sich um seine Behörde handelte. Während Pompeo die Russland-Vorwürfe und die Rolle von Assange dabei eher ablehnend betrachtet hatte, konzentrierte sich das Vault-7-Leck darauf, sich an Wikileaks und Assange zu rächen und die Organisation zu zerschlagen. Michael Isikoff war im Raum, als Pompeo Anfang April 2017 die Rede hielt, in der er Wikileaks erstmals als nichtstaatlichen feindlichen Geheimdienst bezeichnete. Michael Isikoff dachte und nahm wie viele andere an, daß es sich dabei um eine Art rhetorisches Argument handelte, einen griffigen Satz, den sich Pompeo ausgedacht hatte. Tatsächlich öffnete diese Bezeichnung intern die Tür für die CIA, um alle möglichen Operationen zu starten und zu planen, die keine präsidiale Feststellung erforderten und nicht an den Capitol Hill weitergeleitet werden mussten. Es wurde von einer Ermordung gesprochen, obwohl wir klarstellen wollen, daß dies nie an das Weiße Haus weitergeleitet wurde, sondern intern innerhalb der CIA stattfand. Die Entführungspläne waren Teil eines viel umfassenderen, mehrgleisigen Angriffs auf Wikileaks, zu dem auch der Diebstahl von Computern und die Überwachung von Wikileaks-Mitarbeitern gehörte, um Unstimmigkeiten zwischen den Mitgliedern und den Anwälten des Weißen Hauses von Trump zu beseitigen.. .

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Bild: lbc.co.uk

Wenn der Berufung stattgegeben wird, geht die Sache zurück an das Gericht und es kann in der Sache selbst argumentiert werden. Wenn das britische Gericht Assange’s Recht auf Berufung ablehnt, ist das Rechtssystem Großbritanniens erschöpft, aber es gibt den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der eine so genannte Regel 39 erlassen kann, die die Auslieferung aussetzt, bis der Europäische Gerichtshof den Fall prüfen kann, aber wie schon eingangs erwähnt, hat Großbritannien in diesem Fall die Rechtsstaatlichkeit oder die Rechtsprechung nicht angewandt, so daß es sein könnte, daß es in die USA gelangt, bevor der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte überhaupt diese Verfügung erlassen kann, um die Auslieferung zu stoppen.

Bild: ocregister.com
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