Historische Anhörung zur israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete

Die Okkupation Palästinas durch Israel im Kontext des Völkerrechts vor dem UN-Weltgericht in den Haag. Eine Präsentation über 7 Dekaden immenses Leid, Vertreibung, Enteignung des indigenen palästinensischen Volkes unter israelischer Besatzung schockiert die Welt und wird gerade im völkerrechtlichen Kontext vor dem IStGH in den Niederlanden rechtlich aufgearbeitet. Eine Demütigung Israels vor den Augen und Ohren der Welt.

Das gesetzlich verankerte Selbstbestimmungsrecht wurde dem palästinensischem Volk durch die mehr als ein Jahrhundert andauernden, gewaltsamen, kolonialen und rassistischen Bemühungen verweigert und entgegen ihrem Willen ein Nationalstaat ausschließlich für das jüdische Volk auf ihrem angestammten Land, dem historischen Palästina errichtet. Als dies nach dem 1. Weltkrieg begann, betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Palästina 11 %. Die gewaltsame Durchsetzung des Zionismus im demografischen Kontext war zwangsläufig mit der Ausrottung und Zwangsumsiedlung eines Teils der nicht-jüdischen palästinensischen Bevölkerung, mit der Ausübung der Herrschaft über die verbleibenden nicht-jüdischen Palästinenser und mit deren Unterjochung, Verarmung und Enteignung verbunden. Die Einwanderung jüdischer Menschen in ihr Land, unabhängig von einer direkten Verbindung und die Verweigerung des Rechts der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr führte zu einer rassistischen Unterscheidung, die die jüdische Bevölkerung gegenüber der nicht-jüdischen palästinensischen Bevölkerung privilegierte.

Dies hat zu schwerwiegenden Verstößen gegen alle grundlegenden ius cogens und erga omnes-Normen des Völkerrechts geführt; das Selbstbestimmungsrecht, Aggressionsverbrechen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Rassendiskriminierung, Apartheid und Folter. Und selbstverständlich auch gegen den Kernschutz des humanitären Völkerrechts.

Eine notwendige Voraussetzung für die besonderen Rechte, die dem palästinensischen Volk im Völkerbundvertrag gewährt werden ist die Verletzung des Völkerrechts, die sich aus dem Regime der rassischen Vorherrschaft und der Apartheid gegen das palästinensische Volk im gesamten historischen Palästina ergibt, hin über die existenzielle Unrechtmäßigkeit der israelischen Besetzung des palästinensischen Gazastreifens und des Westjordanlandes einschließlich Ost-Jerusalems seit 1967.

Das rechtliche Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes hat seinen Ursprung in den heiligen Treueverpflichtungen von Artikel 22 des Völkerbundvertrages, der Teil des Versailler Vertrages ist. Palästina, ein A-Klasse-Völkerbundmandat[1] (League of Nations Mandate) unter britischer Kolonialherrschaft sollte nach dem ersten Weltkrieg als unabhängiger Staat vorläufig anerkannt werden. Ein Selbstbestimmungsrecht sui generis (eigener Art). Großbritannien und andere Mitglieder des Rates versuchten dies zu umgehen, indem sie die Verpflichtung der Balfour-Erklärung von 1917 zur Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina in das Instrument aufnahmen, das die Funktionsweise des Mandats festlegt. Der Rat hat jedoch keine rechtliche Befugnis den Vertrag auf diese Weise zu umgehen; er handelte ultra vires und die entsprechenden Bestimmungen waren rechtlich nichtig. Es gab und gibt in der Mandatsurkunde weder eine Rechtsgrundlage für einen spezifisch jüdischen Staat in Palästina noch für das Versäumnis Großbritanniens, der heiligen Treuepflicht zur Verwirklichung des palästinensischen Selbstbestimmungsrechts nachzukommen.



[1] Ein Völkerbundmandat stellte einen völkerrechtlichen Rechtsstatus für bestimmte Gebiete nach dem Ersten Weltkrieg dar, der die Übertragung der Kontrolle von einer Nation auf eine andere beinhaltete. Diese Mandate dienten als Rechtsdokumente, in denen die international vereinbarten Bedingungen für die Verwaltung des Gebietes im Namen des Völkerbundes festgelegt wurden. Diese Mandate, die sowohl Elemente eines Vertrags als auch einer Verfassung enthielten, enthielten Klauseln über Minderheitenrechte, die ein Petitionsrecht und eine Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs vorsahen.

Nach dem zweiten Weltkrieg kristallisierte sich im Völkerrecht allgemein ein Selbstbestimmungsrecht für Kolonialvölker heraus. Für das palästinensische Volk entsprach dies im Wesentlichen dem bereits bestehenden Vertragsrecht in Bezug auf dasselbe einzelne Gebiet und ergänzte es. Der Vorschlag zur Teilung Palästinas von 1947 stand der arabischen Ablehnung und Bestätigung des rechtlichen Status quo entgegen. Im Jahr 1948 war Palästina rechtlich gesehen ein einziges Gebiet mit einer einzigen Bevölkerung, die auf einheitlicher Grundlage ein Selbstbestimmungsrecht genoss.

Trotzdem wurde 1948 von denjenigen, die 78% – also mehr als ¾ – Palästinas kontrollierten ein Staat Israel, speziell für die jüdische Bevölkerung ausgerufen, begleitet von der gewaltsamen Vertreibung eines großen Teils der nicht-jüdischen palästinensischen Bevölkerung. Man spricht auch von der der Nakba-Katastrophe. Diese illegale Abspaltung war ein eklatanter Verstoß gegen das palästinensische Selbstbestimmungsrecht. Trotz dieser Rechtswidrigkeit wurde die Staatlichkeit Israels anerkannt und Israel als UN-Mitglied aufgenommen. Israel ist nicht die legale Fortsetzung oder Nachfolgerin des Mandats. Diese Verletzung des palästinensischen Selbstbestimmungsrechts dauert an und ist noch immer ungelöst. Ihre zwei Schlüsselelemente sind:

Erstens: Die palästinensische Bevölkerung (die nicht aus dem 1948 zu Israel erklärten Land vertrieben wurde) und ihre Nachkommen wurden gezwungen als Bürger zu leben. Sie machen derzeit 17,2 % eines Staates aus, die für eine andere Rassengruppe konzipiert wurde und von dieser beherrscht wird, die aufgrund ihrer Rasse zwangsläufig als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.

Zweitens: Die aus diesem Land vertriebenen Palästinenser und ihre Nachkommen können nicht zurückkehren (Rückkehrverbot).

Dies sind schwerwiegende Verstöße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, gegen das Verbot der Rassendiskriminierung und der Apartheid sowie gegen das Recht auf Rückkehr. Sie müssen sofort beendet werden.

Als wäre dieser andauernde Nakba nicht schon katastrophal genug, eroberte Israel 1967 auch noch die restlichen 22 % des historischen Palästina – den Gazastreifen und das Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalems – und hat diese Gewaltanwendung seit 57 Jahren aufrechterhalten. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hat also ein Staat, der als ausschließlich jüdisch definiert wurde das gesamte Land des historischen Palästina und das palästinensische Volk dort beherrscht. Und das Regime über die rassische Vorherrschaft, der Apartheid und der Verweigerung der Rückkehr wurde überall ausgedehnt. Im Falle der Palästinenser, die in den besetzten Gebieten leben, hat dies zu denselben schweren Verstößen gegen das Völkerrecht geführt, ergänzt durch schwere Verstöße gegen die in den besetzten Gebieten geltenden Normen. Diese Menschen sind in der Tat einer noch extremeren Form rassistischer Herrschaft ausgesetzt, da sie nicht einmal Bürger des Staates sind, der die Autorität über sie ausübt. Selbst in Ostjerusalem, das Israel vorsätzlich besetzt hält, haben die mehrheitlich nicht-jüdischen palästinensischen Bewohner keine Staatsbürgerschaft, während die jüdischen Bewohner, einschließlich der illegalen Siedler Staatsbürger sind. Wie im israelischen Staatsgebiet müssen auch in den besetzten Gebieten diese schwerwiegenden Verstöße gegen die Art und Weise, wie Israel ihre Macht über die palästinensische Bevölkerung ausübt, unverzüglich beendet werden.

Hier muss jedoch auch ein grundlegenderes Problem angesprochen werden: Die Rechtswidrigkeit der Ausübung der Autorität selbst. Das dauerhafte palästinensische Selbstbestimmungsrecht bedeutet, daß das palästinensische Volk und der Staat Palästina und nicht Israel der Souverän über das 1967 von Israel eroberte Gebiet ist. Für Israel ist das Land extraterritorial und in Anbetracht dessen, was über das Mandat gesagt wurde, ein Gebiet auf das es keinen rechtlichen Hoheitsanspruch hat.

Trotzdem hält Israel illegal Ost-Jerusalem besetzt. Es wurden dort und im West-Jordanland verschiedene Maßnahmen ergriffen, die de jure und de facto eine geplante Annexion darstellen, einschließlich der Errichtung von Siedlungen. Es ist israelische Politik, daß es nicht nur die ausschließliche Autorität über das gesamte Land – vom „Fluss bis zum Meer“[2] – hat, sondern auch die alleinige souveräne Autorität dort.

[2] Der Begriff „from the River to the sea“ – („vom Fluss bis zum Meer“) ist in Israel sehr umstritten. Es gibt Leute, die damit den Völkermord an den Juden in Israel meinen. Aber der Begriff selbst bedeutet nicht den Völkermord am jüdischen Volk, sondern Freiheit für alle Palästinenser „from the river to the sea“. Wenn Benjamin Netanjahu diesen Begriff verwendet, bedeutet das nicht Freiheit für alle vom Fluss bis zum Meer, sondern: Unterdrückung der Palästinenser und jüdische Vorherrschaft vom Jordan bis zum Mittelmeer.

Dies bedeutet eine vollständige Ablehnung des palästinensischen Selbstbestimmungsrechts als Rechtsanspruch. Da es das Recht völlig seines territorialen Gehalts beraubt, ist seine Verwirklichung durch eine faktische und rechtliche geplante Annexion, erstens eine schwerwiegende Verletzung des palästinensischen Selbstbestimmungsrechts und zweitens, weil sie durch Gewaltanwendung ermöglicht wird, ein Verstoß gegen das Verbot der beabsichtigten Inbesitznahme des Gebiets durch Gewaltanwendung im Gewaltanwendungsgesetz und damit eine Aggression. Auch gegen weitere Rechtsbereiche, die das Verhalten der Besatzung regeln wird schwerwiegend verstoßen, insbesondere gegen das Verbot Siedlungen zu errichten und den rechtlichen, sozialen und religiösen Status quo zu verändern, wenn dies nicht absolut verhindert wird. Die Besatzung ist also existenziell rechtswidrig, weil sie zur Verwirklichung einer geplanten Annektierung eingesetzt wird. Um diese schwerwiegende Illegalität zu beenden, muß sie beendet werden.

Israel hat auf alle Souveränitätsansprüche zu verzichten und alle Siedlungen müssen sofort geräumt werden.

Dies ist jedoch nicht die einzige Grundlage, auf der die existenzielle Rechtmäßigkeit der Besatzung angegangen werden muß. Es muß sich sowohl mit dem Selbstbestimmungsrecht als auch mit dem Recht auf Gewaltanwendung auseinandergesetzt werden.

Beginnend mit der Selbstbestimmung:
Dieses Recht, wenn es auf das palästinensische Volk in dem 1967 von Israel gekaperten Gebiet angewandt wird, ist das Recht auf vollständige Selbstverwaltung, frei von israelischer Vorherrschaft. Folglich hat das palästinensische Volk einen Rechtsanspruch auf die sofortige Beendigung der Besatzung und Israel hat die entsprechende rechtliche Verpflichtung die Besatzung unverzüglich zu beenden.
Dieses unveräußerliche Recht besteht und funktioniert einfach und ausschließlich, weil das palästinensische Volk ein Recht darauf hat. Es hängt nicht davon ab, daß andere ihrer Verwirklichung zustimmen. Es ist ein Recht. Das Recht Palästinas.

Es stellt damit eine Zurückweisung/Ablehnung der Treuhänderschaft dar, nach der kolonialen Völkern beabsichtigt nur dann die Freiheit gewährt werden sollte, wenn sie aufgrund ihres Entwicklungsstandes, der durch den rassistischen Zivilisationsstandard bestimmt wurde, als reif erachtet wurden. Die antikoloniale Selbstbestimmungsregel ersetzte dies durch ein Recht, das auf dem automatischen und sofortigen Anspruch aller Menschen auf Freiheit ohne Voraussetzungen beruht.

In der Generalversammlung 1514 heißt es, daß unzureichende Vorbereitungen niemals als Vorwand für eine Verzögerung der Unabhängigkeit dienen dürfen. Manche behaupten, daß dem palästinensischen Volk Vereinbarungen angeboten wurden, die die Besatzung hätte beenden können, diese jedoch abgelehnt wurden, so daß Israel die Besatzung bis zu einer Lösung aufrechterhalten kann. Selbst wenn man davon ausgeht, daß diese Behauptung wahr ist, bedeuteten die angebotenen Vereinbarungen einen weiteren Verlust des souveränen Territoriums des palästinensischen Volkes.
Israel kann nicht rechtmäßig Zugeständnisse bei den Rechten der Palästinenser verlangen, um die Behinderung der palästinensischen Freiheit zu beenden. Dies würde bedeuten, daß Israel Gewalt anwendet, um das palästinensische Volk zu zwingen auf einige ihrer zwingenden Rechte zu verzichten, was nach dem Gesetz über die Anwendung von Gewalt illegal ist und zwangsläufig dazu führt, daß die entsprechenden Bedingungen jeder getroffenen Vereinbarung nichtig sind.

Das palästinensische Volk hat das Recht, einen weiteren Verlust von Land abzulehnen, auf das es einen ausschließlichen Rechtsanspruch hat. Eine solche Ablehnung ändert nichts an der unmittelbaren rechtlichen Verpflichtung Israels die Besatzung zu beenden.

Was das Recht auf Gewaltanwendung betrifft, so ist Israels Kontrolle über die palästinensischen Gebiete seit 1967 als militärische Besatzung eine andauernde Anwendung von Gewalt. Als solche wird ihre existenzielle Rechtmäßigkeit durch das Gewaltanwendungsgesetz als allgemeine Angelegenheit über die spezifische Frage der Besatzung hinaus bestimmt.

Israel eroberte den Gazastreifen und das Westjordanland von Ägypten und Jordanien in einem Krieg, den es gegen diese Länder und Syrien führte. Es behauptete, in Erwartung eines nicht unmittelbar bevorstehenden Angriffs in Selbstverteidigung zu handeln. Der Krieg war nach 6 Tagen beendet. Anschließend wurden Friedensverträge zwischen Israel und Ägypten und Jordanien geschlossen. Trotzdem behielt Israel die Kontrolle über das Gebiet und setzte die Gewaltanwendung fort, um es zu erobern. Israels Krieg von 1967 war nach dem jus ad bellum (Kriegsvölkerrecht) rechtswidrig, selbst wenn man davon ausgeht, daß es sich um einen befürchteten Angriff handelte.
Bei nicht unmittelbar, drohender vorgreifender Selbstverteidigung können Staaten nicht rechtmäßig Gewalt anwenden.

Angenommen, der Krieg war rechtmäßig, so endete die Rechtfertigung nach sechs Tagen, doch die Anforderungen des jus ad bellum (Kriegsvölkerrecht) galten weiterhin für die Besetzung als fortgesetzte Gewaltanwendung.

1967, als das Selbstbestimmungsrecht im internationalen Recht fest verankert war, konnten Staaten nicht rechtmäßig Gewalt anwenden, um die Kontrolle über eine im Krieg eroberte Selbstbestimmungseinheit zu behalten, es sei denn, die rechtliche Prüfung, die die ursprüngliche Gewaltanwendung rechtfertigte, begründet auf der gleichen Grundlage auch die Gewaltanwendung zur Erhaltung der Kontrolle. Außerdem müsste diese Rechtfertigung nicht nur in der unmittelbaren Folgezeit, sondern mehr als ein halbes Jahrhundert lang fortbestehen. Diese rechtliche Prüfung ist offensichtlich nicht erfüllt.

Die Ausübung der Kontrolle über den Gazastreifen und das Westjordanland durch Israel mittels Gewaltanwendung ist seit der Eroberung des Gebiets oder zumindest sehr bald danach nach dem jus ad bellum (Kriegsvölkerrecht) rechtswidrig. Die Besatzung ist daher erneut existenziell rechtswidrig im Sinne des Gesetzes über die Anwendung von Gewalt und Aggression, diesmal als allgemeine Angelegenheit, die über die spezifische Rechtswidrigkeit der Okkupation hinausgeht. Um diesen schwerwiegenden Verstoß zu beenden, muß die Besatzung ebenfalls sofort beendet werden.

Im Zuge Israels aktueller Militäraktion in Gaza handelt es sich nicht um einen Krieg, der im Oktober 2023 begann. Es handelt sich um eine drastische Aufstockung der Gewalt, die dort und im Westjordanland seit 1967 ununterbrochen ausgeübt wird. Eine Rechtfertigung für eine neue Phase einer laufenden rechtswidrigen Gewaltanwendung kann nicht allein aus den Folgen des gewaltsamen Widerstands gegen diese rechtswidrige Gewaltanwendung konstruiert werden, da andernfalls eine rechtswidrige Gewaltanwendung als rechtmäßig eingestuft würde, weil die ihr unterworfenen Menschen gewaltsamen Widerstand leisteten. Dieses stellt eine zirkuläre Logik mit einem perversen Ergebnis dar. Ganz allgemein kann Israel nicht rechtmäßig Gewalt anwenden, um das palästinensische Gebiet zu Sicherheitszwecken zu kontrollieren, solange kein Abkommen mit Sicherheitsgarantien besteht. Staaten können außerhalb ihrer Grenzen nur unter äußerst begrenzten Umständen rechtmäßig Gewalt anwenden; darüber hinaus müssen sie Sicherheitsbelange ohne Gewaltanwendung angehen.

Die USA, Großbritannien und Sambia schlugen in ihren Ausführungen vor, daß es einen Rechtsrahmen sui generis[3] gibt. Eine sog. israelisch-palästinensische lex specialis. Dadurch werden die völkerrechtlichen Regeln zur Bestimmung der Rechtmäßigkeit der Besatzung in gewisser Weise außer Kraft gesetzt. Eine neue Regel soll die Besatzung rechtfertigen bis es ein Friedensabkommen gibt, das den israelischen Sicherheitsbedürfnissen entspricht.
Dies ist das Recht, wie diese Staaten es gerne hätten, nicht aber das Recht, wie sie ist. Sie hat weder Grundlage in der Resolution 242 noch in der Osloer Resolution oder in anderen Resolutionen oder Abkommen. Tatsächlich wird hier von den USA, Großbritannien und Sambia aufgefordert, einige der grundlegenden, zwingenden Regeln des Völkerrechts selbst abzuschaffen. Das hat zur Folge, daß die Dinge, die in diesen Regeln als Rechte des palästinensischen Volkes angesehen werden nur dann verwirklicht werden, wenn eine Vereinbarung getroffen wird, und auch nur auf der Grundlage einer solchen Vereinbarung. Im besten Fall, wenn es zu einer Einigung kommt, bedeutet dies, daß diese nicht mit den zwingenden Rechtsansprüchen der Palästinenser vereinbar sein muß, die nur durch das akute Machtungleichgewicht zu Gunsten Israels bestimmt werden. Im schlimmsten Fall, wenn es kein Abkommen gibt, bedeutet dies, daß die unbefristete Fortsetzung der israelischen Herrschaft über das palästinensische Volk in den OPT (occupied Palestinian territory = besetzte palästinensische Gebiete) auf der Grundlage rassistischer Vorherrschaft und eines Souveränitätsanspruchs rechtmäßig wäre. Dies ist ein Affront gegen die internationale Rechtsstaatlichkeit, gegen das Gebot der UN-Charta Streitigkeiten im Einklang mit dem Völkerrecht beizulegen und gegen die richterliche Funktion als Hüterin des internationalen Rechtssystems.

[3] „Sui generis“ ist die Zusammenfassung eines bestimmten Gedankengangs, der rasch und einfach manche Sachverhalte klärt indem man sie rechtlich richtig einordnen kann. Die reine Übersetzung bedeutet wortgetreu „eigene Gattung“ und ist sehr breit zu verstehen. Der Sinnesgehalt meint nämlich „einzigartig“ oder auch „nicht den Normen entsprechend“. Es sind Vereinbarungen, also Verträge für die damit ein Oberbegriff bei der Zuordnung geschaffen wurde. Nämlich für solche, für die es keinen Oberbegriff gibt.

Ein letzter möglicher Grund, der manchmal angeführt wird, um die Fortsetzung der Besatzung zu rechtfertigen sollte angesprochen werden.

Besatzungs- und Menschenrechtsgesetze, die sowohl für illegale als auch für rechtmäßige Besatzungen gelten, verpflichten Israel Sicherheitsbedrohungen in den besetzten Gebieten zu begegnen. Sie regeln jedoch nur das Verhalten einer Besatzung, wenn sie existiert, sie bieten keine Rechtsgrundlage für die Existenz der Besatzung selbst. Die existenzielle Legalität wird ausschließlich durch das Selbstbestimmungsrecht und das jus ad bellum bestimmt. Es gibt keine rechtliche Grundlage für Israel die Besatzung durch die Hintertür aufrechtzuerhalten indem es sich auf die Gebote der Besatzung und der Menschenrechte beruft.

Die Besetzung des palästinensischen Gazastreifens und des Westjordanlandes einschließlich Ost-Jerusalems ist aus zwei sich gegenseitig verstärkenden Gründen existenziell illegal:

Erstens: Das Gesetz über die Anwendung von Gewalt. Hier ist die Besatzung illegal. Beides ist eine ungerechtfertigte Gewaltanwendung, weil sie eine illegal geplante Gebietsaneignung ermöglicht. Als solche ist sie eine Aggression.

Zweitens: Das Selbstbestimmungsrecht. Auch hier ist die Besatzung illegal, weil sie mit der illegalen geplanten Annektierung zusammenhängt, aber auch ganz allgemein, weil sie ganz einfach die Ausübung von Autorität über das palästinensische Volk darstellt, die ihrem Wesen nach gegen ihr Recht auf Freiheit verstößt.

Diese vielschichtige existenzielle Illegalität, die schwerwiegende Verstöße gegen zwingende Normen beinhaltet, hat zwei wesentliche Konsequenzen:

Erstens: Die Besatzung muß beendet werden. Israel muß ihren Anspruch auf Souveränität über das palästinensische Gebiet aufgeben. Alle Siedler müßen sofort entfernt werden.

Dies ist erforderlich, um die Illegalität zu beenden und der positiven Verpflichtung nachzukommen eine sofortige palästinensische Selbstverwaltung zu ermöglichen sowie weil Israel keinerlei Rechtsanspruch auf die Ausübung von Autorität hat.

Zweitens: Solange die Besatzung nicht beendet ist, entbehrt notwendigerweise alles, was Israel in den palästinensischen Gebieten tut, einer gültigen völkerrechtlichen Grundlage und ist daher nach dem Namibia-Komplex ungültig. Nicht nur die Dinge, die gegen das Recht verstoßen, die die Durchführung der Besatzung regelt. Diese Normen berechtigen und verpflichten Israel bestimmte Dinge zu tun. Aber das ändert nichts an der grundlegenderen Position des Gesetzes über die Anwendung von Gewalt und die Selbstbestimmung, daß Israel keine gültige Befugnis hat irgendetwas zu tun, und daß alles, was es tut, illegal ist, selbst wenn es mit den Vorschriften zur Regelung des Verhaltens übereinstimmt oder diese einhält.

Angelehnt an den Völkermord an Gaza, möchte ich das Zitat des palästinensischen Akademikers und Dichters Refaat Alareer aus seinem letzten Gedicht, das er 36 Tage vor seiner Ermordung durch Israel in Gaza am 6. Dezember 2023 veröffentlichte, abschließend anführen: „If I must die, you must live to tell my story. If I must die, let it bring hope, let it be a story.“ („Wenn ich sterben muß, lebst du weiter, um meine Geschichte zu erzählen. Wenn ich sterben muß, lass es Hoffnung bringen, lass es eine Legende sein.“).

Das Gedicht von Refaat Alareer (1979 – 2023), Akademiker und Dichter aus Palästina in voller Länge:

Wenn ich sterben muss
musst du leben
um meine Geschichte zu erzählen
um mein Hab und Gut zu verkaufen
um ein Stück Stoff zu besorgen
und ein paar Schnüre
(lass es weiß sein und mit einem langen Schweif)
so daß ein Kind, irgendwo in Gaza
während es dem Paradies ins Auge sieht
wartend auf seinen Vater, der wie ein Blitz verschwand
und von niemandem Abschied genommen hat
nicht einmal von seinem Leib
nicht einmal von sich selbst
den Drachen sieht, meinen Drachen, den du gemacht hast, wie er oben fliegt,
und für einen Augenblick denkt, daß ein Engel da ist, der die Liebe zurückbringt.
Wenn ich sterben muss,
lass es Hoffnung bringen,
lass es eine Legende sein.


Refaat Alareer
Bild: news.un.org
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