Flächenbrand Digitalisierung

Sie begegnet uns heute praktisch in allen erdenklichen Lebensbereichen. Es beginnt schon am frühen Morgen. Ich erlaube mir einen kleinen fiktiven Ausflug in den Tagesablauf eines berufstätigen Mitbürgers:

Wo uns damals der gute alte Wecker mit seinen Schellen aus dem Schlaf riss, erledigt das heute ein digitales Gerät, das uns mit leisem Wasserplätschern, leiser Musik, oder mittels einer sanften, einfühlsamen Stimme weckt, die uns freundlich dazu auffordert die Augen zu öffnen.

Zuverlässig programmiert fährt sich der Rolladen in seinen Kasten zurück. Also dann jetzt doch aufstehen. Draußen dämmert langsam der Tag hoch.

Nach dem mühevollen aufrichten in die Senkrechte geht es in´s Bad. Es ist keine Kunst den Weg dorthin zu erkennen, denn schließlich leuchtet eine sich Schritt für Schritt zuschaltende in der Fußleiste versteckte Lichtleiste mir den Weg. Im Bad angekommen geht es gerade so weiter. Als ich meiner Toilette versehentlich zu nahe trete, öffnet sie in freudiger Erwartung den Toilettendeckel.
Ich ignoriere diese Geste und greife zur elektrischen Zahnbürste – selbstverständlich digital mit Display, eine LED-Anzeige informiert mich über den Ladezustand des Akkus und ich kann zwischen mindestens 4 Reinigungsprogrammen wählen. Der Wasserstrahl der Armatur leuchtet je nach Wärmegrad des Wassers in kühlem Blau, oder warnendem Rot.

In der Küche höre ich bereits die Kaffeemaschine „röcheln“. Sie ist eher noch ein Relikt aus der Vorzeit. Am Vorabend programmiert und gefüllt kann sie pünktlich loslegen und nach kurzer Zeit durchzieht der Geruch frischen Kaffees die Wohnung. Nach der Pflegeprozedur verlasse ich das Badezimmer ohne mich um die Beleuchtung kümmern zu müssen – sie erlischt von alleine.

Mein Weg führt mich in die Küche. Frühstück. Schade – das muss bis auf den Kaffee noch von Hand zubereitet werden. Aber die Alternative wäre der kurze Stop bei der nahegelegenen Bäckerei und das ist nicht so mein Ding.
Dafür hat der Kühlschrank bereits unaufgefordert eine Einkaufsliste der fehlenden Nahrungsmittel erstellt und diese eigenmächtig beim ortsansässigen Discounter geordert. Ein Aufmerksamkeitston von meinem Handy (5G-fähig) erinnert mich daran, dass soeben die Bestellbestätigung und die dazugehörige Rechnung eingegangen sind. Selbstverständlich digital.

Ein fröhliches „Alexa, spiel meine Lieblingsmusik“ in den Raum gerufen lässt nur Sekunden später meine ganz persönliche Mucke aus den versteckten – selbstverständlich digital angesteuerten – Lautsprechern erklingen.

Das Frühstücksgeschirr und -besteck wandert in die Spülmaschine, die auf kurz nach Acht programmiert ist – also erst, wenn ich aus dem Haus bin.

Während ich mich vollends ankleide, deutet ein leises Klicken darauf hin, dass soeben „Dusty“ mein Saugroboter, seine Ladestation verlassen hat und sich auf seinen, mittels Programmierung vorgesehenen Weg durch meine Wohnung macht. Später kann ich dann vom Büro aus kurz einmal über die Staubsauger-App schauen, wo er gerade unterwegs ist. Manchmal mache ich mit ihm spaßeshalber eine kleine Sightseeingtour durch meine eigenen vier Wände.

Ich ziehe meinen Mantel an, rufe Alexa noch kurz zu, das Licht und die Musik auszumachen und verlasse das Haus durch die über ein digitales Zahlenschloss gesicherte Haustür.

Kurzer Knopfdruck und das Sektionaltor schiebt sich leise unter die Decke. Nun muss ich kurz die Fernbedienung wechseln um das Auto zu öffnen. Auch inzwischen eine schon etwas veraltete Technik. Wildes Blinken und zwei kurze Signaltöne deuten darauf hin, dass ich einsteigen darf.
Ich lasse mich in den Sportsitz fallen, der mich selbsttätig in meine Lieblings-Fahrposition schiebt und lege den Keyless-Go-Schlüssel in das dafür vorgesehene Ablagefach. Mein Auto kennt mich und begrüßt mich mit den vorgegeben Höflichkeitsfloskeln.
Die Ambientebeleuchtung von gestern Abend taucht den Innenraum in ein warmes Rot. Ich beschließe diese in ein etwas rasanteres, kühles Blau zu ändern. Da ich etwas spät dran bin, klicke ich schnell noch durch die verfügbaren Displayvarianten. Der „Sportmodus“ ist gefragt und dieser beschränkt sich auf die minimalsten, benötigten Informationen. Dann den Startknopf gedrückt und die Maschine nimmt ihre Arbeit auf.
Im Innenspiegel kann ich noch sehen, wie sich das Garagentor wieder selbsttätig schließt.

Als ich nach meinem Coffee-to-go greifen möchte muss ich feststellen, dass dieser ziemlich sicher noch auf meiner Arbeitsplatte steht. Also doch ein kurzer Abstecher zum Bäcker. Der ist ziemlich modern ausgestattet und ich kann die 2,65 EUR für meinen Kaffee berührungslos mit meiner Smartwatch bezahlen.
Als ich rückwärts vom Parkplatz rolle läuft direkt vor meiner Motorhaube ein Bäckerkunde vorbei. Mein Wagen haut so dermaßen die Bremse rein, dass ich mir fast den Inhalt meines Kaffeebechers über das frische Hemd leere. Security first eben.

Nach 20 Minuten Fahrt habe ich die Zufahrt zu der Tiefgarage des Bürogebäudes erreicht in dem ich arbeite. Die EC-Karte vor den Scanner halten und die Schranke hebt sich wie von Geisterhand. Erst wenn ich diese bei Ausfahrt heute Abend erneut davor halte wird abgerechnet.

STOP!

Einige Leser werden jetzt inzwischen die Mundwinkel zu einem Schmunzeln nach oben bewegt haben. Vielleicht, weil es sich so amüsant liest, oder auch weil sie genau diese Vorgänge jeden Tag selber erleben.

Doch Hand auf´s Herz. Machen wir uns über die mögliche Tragweite dieser Form weitreichender Technisierung und Digitalisierung überhaupt Gedanken? Jeder! Und damit meine ich jeden, der in irgendeiner Form in unserer Zeit unterwegs ist, nutzt permanent diese kleinen „Alltagserleichterungen“. Wir haben dabei schnell vergessen, wie gläsern und steuerbar wir dadurch geworden sind. Wir sind ein offenes Buch. Verstecken gilt und geht nicht. Zu jeder Zeit sind wir lokalisierbar und unser Verhalten lässt sich prima mittels Manipulation unserer Gewohnheiten lenken. Was macht das mit unserer eigenen Kreativität – mit unserer Freiheit?

Nur ein mögliches Szenario: Angenommen, Du verhältst Dich in einer bestimmten Situation nicht „systemkonform“ – ein Knopfdruck und Dir könnte beispielsweise der Geldhahn zugedreht werden. Das geht so schnell, dass Dir schwindelig wird. Läufst Du wieder in der Spur, weil Du ohne den Zugriff auf Dein hart verdientes Geld mehr Probleme hast als vorher, wirst Du wieder frei geschaltet. Bravo! Ein Hoch auf den digitalen Euro. Die Erleichterungen, welche Dir als Fortschritt verkauft werden, lassen Dich Deinen eigenen Käfig bauen.

5 G für autonomes Fahren? Bullshit! Mittels dieser Technologie wird nach und nach ein Überwachungsnetz über uns ausgeworfen. Wir werden darin zappeln wie die Fische und sofern gewollt auch wie die Fische darin verenden. Von dem Gesundheitsaspekt wie die Verträglichkeit der elektromagnetisch, Bluetooth- und WLAN-geschwängerten Umgebung für unseren Körper einmal ganz abgesehen. Und dennoch bekommen viele Menschen leuchtende Augen, wenn sie die neueste Handygeneration in den Händen halten. Ist 5G-fähig – na toll! Gratulation!

Die Fragen die sich letztendlich jeder stellen sollte sind doch die: Wollen und brauchen wir diese totale Überwachung und Steuerung überhaupt? Sind wir nicht mehr in der Lage selbst einfachste Dinge wie das Schreiben eines Briefes, eines kleinen sich reimenden Vierzeilers, oder die Auswahl eines Spielfilmes im TV ohne Hilfe einer KI zustande zu bringen? Wollen wir gelenkt wie die Lemminge in unser Verderben rennen zu einem Zeitpunkt, den Andere für uns festlegen? Interessant hierzu auch der Fakt, dass einige Filmregisseure sich dieses Themas bereits in zahlreichen Spielfilmen angenommen haben und obwohl die darin vorgeführten Technologien in den wenigsten Fällen zum Wohlergehen der Gesellschaft geführt haben, ist die Begeisterung für den rasanten, technischen Fortschritt in der Realität ungebrochen. „Weiter“, „höher“, „schneller“, „präziser“, „billiger“. Das sind die Schlagworte der Zeit. Aber wo bleibt der Mensch?

Letzten Endes muss ein jeder eigenverantwortlich entscheiden, inwieweit er sich die Selbstverantwortung und Selbstkontrolle aus der Hand nehmen lässt. Kurz innehalten und überlegen, wo man die persönliche Grenze setzt, kann manchmal sehr hilfreich sein. Auf jeden Fall kann mit Sicherheit soviel gesagt werden. Nicht jede Technologie arbeitet FÜR uns und manchmal ist eben weniger doch mehr!

Bild: pexels.com

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