Nelson Mandela über seine Unterstützung für die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), den palästinensischen Führer Yasser Arafat und den Kampf der Palästinenser um Selbstbestimmung im TV-Interview mit Ted Koppel aus dem Jahr 1990
Für mich ist und war Nelson Mandela ein beeindruckender Mann und Führer. Seine Energie, seine Eloquenz, seine Diplomatie, seine Ernsthaftigkeit/Strenge, seine unerschütterliche Willenskraft, seine Ruhe, seine Klarheit und seinen Prinzipien, die er im Kampf um Menschenrechte und das Recht auf Selbstbestimmung der Völker treu blieb. Ich widme mich mit der Übersetzung dieses TV-Interviews, den Nelson Mandela im Jahre 1990 im amerikanischen Fernsehen mit Fernsehmoderator Ted Koppel gab, allen Lesern, die mein Empfinden und Begeisterung für Nelson Mandela teilen. Nelson Mandela, eine Größe, nicht zuletzt gegen die staatlich organisierte Rassentrennung und Unterdrückung in Südafrika.
Eine der ersten Fragen an Nelson Mandela bezog sich auf seine Beziehungen zum palästinensischen Führer Yasser Arafat und seine Unterstützung für ihn.
Frage aus dem Publikum:
Diejenigen von uns, die Ihren Kampf für die Menschenrechte gegen Apartheid teilen, sind etwas enttäuscht von den Menschenrechtsmodellen, die Sie seit Ihrer Entlassung aus dem Gefängnis hochgehalten haben. Sie haben sich in den letzten sechs Monaten ganze dreimal mit Yasser Arafat getroffen. Sind das Ihre Vorbilder für Menschenrechte und wenn ja, wollen Sie einen Muammar Gaddafi, einen Arafat oder einen Fidel Castro als zukünftigen Präsidenten Südafrikas?
Nelson Mandela:
Einer der grundlegenden Fehler, den viele politische Analysten begangen haben, besteht darin, zu glauben, daß ihre Feinde unsere Feinde sein sollten. Unsere Haltung gegenüber allen Ländern wird durch die Haltung dieses Landes zu unserem Leid/Kampf bestimmt. Yasser Arafat, Muammar Gaddafi und Fidel Castro unterstützen unseren Kampf nach besten Kräften. Sie unterstützen uns nicht nur mit Worten, sie stellen uns Ressourcen zur Verfügung, damit wir den Kampf gewinnen können. Das nenne ich klares Standing.
Frage aus Publikum (Mr. Sigment):
Als ich die Ehre hatte, Herrn Mandela in Genf zu treffen, sagten wir ihm, und ich möchte dies jetzt wiederholen (um meine Frage in den Kontext zu stellen), dass das Engagement der jüdischen Organisationen, die sich mit ihm trafen, für den Kampf gegen die Apartheid, gegen den Rassismus, gegen die Ungerechtigkeit gegenüber Südafrika absolut bedingungslos ist. Es hängt nicht davon ab, ob wir mit den Antworten, die Herr Mandela auf einige Fragen gibt, zufrieden oder unzufrieden sind. Ich glaube, ich wäre unehrlich, wenn ich nicht die Enttäuschung zum Ausdruck bringen würde, die Herr Mandela auf die vorherige Frage geäußert hat. Denn das deutet auf ein gewisses Maß an Unmoral hin. Es suggeriert, daß das, was diese Leute in ihrem eigenen Land tun, was ein Gaddafi in Libyen tut, was ein Fidel Castro in Kuba tut, völlig irrelevant ist, selbst in Bezug auf die Frage der Menschenrechte, solange sie die Sache des ANC unterstützen. Ich hoffe, daß Herr Mandela das nicht gemeint hat und würde mir wünschen, daß er diese Frage weiter und näher ausführt.
Nelson Mandela:
Erstens sind wir eine Befreiungsbewegung, die sich voll und ganz für die Befreiung unseres Volkes von einer der schlimmsten rassistischen Tyranneien einsetzt, die die Welt je gesehen hat. Wir haben keine Zeit, uns in die innerstaatlichen Angelegenheiten anderer Länder einzumischen. Es ist unvernünftig, wenn jemand glaubt, daß dies unser Anspruch/Recht ist. Ich wurde von jemandem gebeten, mich zu den Differenzen innerhalb der USA zu äußern, und er hatte seinen Standpunkt klar gemacht, daß in diesem Land Rassismus herrscht. Ich habe es abgelehnt, mich darauf einzulassen. Warum sollte Herr Sigment meine Weigerung akzeptieren, sich in die innerstaatlichen Angelegenheiten der Vereinigten Staaten zurückzuziehen, und gleichzeitig wollen, daß ich mich in die innerstaatlichen Angelegenheiten von Libyen und Kuba einmische. Ich weigere mich, das zu tun.
Was Yasser Arafat betrifft, so erkläre ich gegenüber Herrn Sigment, daß wir uns mit der PLO identifizieren, weil sie genau wie wir für das Recht auf Selbstbestimmung kämpft.
Ich bin jedoch noch weiter gegangen, um zu sagen, daß die Unterstützung für Yasser Arafat in seinem Kampf, daß ANC das Recht Israels, als Staat rechtmäßig zu existieren, nie in Frage gestellt hat. Wir sind ganz offen und entschieden für das Recht dieses Staates eingetreten, innerhalb sicherer Grenzen zu existieren, aber natürlich, wie ich Herrn Sigment in Genf gesagt habe, definieren wir sorgfältig, was wir unter sichere Grenzen verstehen. Wir sind nicht der Meinung, daß Israel das Recht hat, die von der arabischen Welt eroberten Gebiete wie den Gazastreifen, die Golanhöhen und das Westjordanland zu besetzen bzw. besetzt zu halten. Diese Gebiete sollten an die arabischen Völker zurückgegeben werden.
Ich erkläre Herrn Sigment und Co. auch, daß wir in unserer Organisation Juden haben. In der Tat hat uns Herr Gaddafi nicht erlaubt, unsere Büros in Libyen zu eröffnen, weil wir den Mut hatten, ihm zu sagen, daß wir mit den Juden in unserer Organisation zusammenarbeiten, und er hat uns erst im Februar 1990 erlaubt, unsere Büros zu eröffnen, als er uns akzeptieren musste, wie wir sind. Wir sind nicht bereit, uns von jemandem versklaven zu lassen, wir haben eine unabhängige Politik, die wir durchsetzen, egal mit wem wir diskutieren/verhandeln.
Frage des Moderators:
Herr Mandela, wir haben gerade eine Reihe von Dingen gehört, die Sie gesagt haben, einige kontroverse Dinge, nicht unbedingt die Art, die ein politischer Mensch sagt. Wenn Sie sehr politisch wären, wären Sie vielleicht mehr darauf bedacht gewesen, einige Leute in diesem Land nicht zu verärgern, die es in der Hand hätten, entweder die Sanktionen gegen Südafrika aufrechtzuerhalten oder sie aufzuheben. Warum waren Sie nicht ein wenig politischer? Vielleicht sind wir in diesem Land zu sehr an das Politische gewöhnt.
Nelson Mandela:
Ich verstehe nicht, was Sie meinen. Vielleicht kann ich mich dazu äußern, wenn Sie klarstellen, was Sie meinen.
Moderator:
Was ich damit sagen will, ist, daß es zum Beispiel in diesem Land eine engere Verbindung zwischen der jüdischen Bevölkerung und der schwarzen Bevölkerung im Bürgerrechtskrieg/-kampf gab. Es ist wahrscheinlich, dass es eine eher negative Reaktion auf einige der Dinge gibt, die Sie gesagt haben. Diese Reaktion könnte die Menschen dazu veranlassen, ihre Kongressabgeordneten und Senatoren anzurufen und zu sagen: „Wir müssen uns mit dem Thema befassen: „Nur zu, hebt die Sanktionen auf.“. Warum nicht, schließlich tut Präsident de Klerk viel gegen die Apartheid. Er sagte, dass sich die Regierung in Südafrika als Teil des Anti-Apartheid-Kampfes sieht.
Nelson Mandela:
Eines der Probleme, mit denen wir heute in der Welt konfrontiert sind, sind Menschen, die Probleme nicht objektiv, sondern unter dem Gesichtspunkt ihrer eigenen Interessen betrachten. Das macht die Dinge schwierig, denn wenn eine Person nicht objektiv ist, ist es äußerst schwierig, eine Einigung zu erzielen. Eines der besten Beispiele dafür ist die Auffassung, dass wir Arafat verurteilen müssen, weil er einen Kampf gegen den Staat Israel führt. Das können wir nicht tun. Es ist einfach nicht möglich, dass eine integre Organisation wie die unsere so etwas tut.
Moderator Koppel fällt Nelson Mandela ins Wort:
Ich möchte mich nur in einem Punkt einmischen. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass es sich hier nur um ein jüdisch-schwarzes Problem handelt. Es gibt sehr viele kubanische Amerikaner in diesem Land, die von einigen Ihrer Bemerkungen über Fidel Castro und Kuba sich ebenso angegriffen fühlen werden.
Nelson Mandela:
Nein, Herr Koppel, ich stimme nicht mit Ihnen überein. Ich sage, dass es ein großer Fehler ist, wenn wir unsere Haltung gegenüber Yasser Arafat auf der Grundlage der Interessen der jüdischen Gemeinschaft betrachten. Wir sympathisieren mit dem Kampf des jüdischen Volkes und seiner Verfolgung über all die Jahre hinweg. In der Tat hat uns der fehlende Rassenwahn innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in unserem eigenen Land bei den politischen Prozessen, die stattgefunden haben, als nur wenige Anwälte bereit waren, uns zu verteidigen, sehr beeinflusst. Ich bin Anwalt von Beruf, ich wurde von einer jüdischen Kanzlei zum Anwalt ausgebildet, zu einer Zeit, als nur wenige Hehler in unserem Land bereit waren, „Blut“ zu schützen und wie ich schon sagte, haben wir viele Juden, Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft in unserer Organisation, die unser Leid teilen, sie besetzen sehr hohe Positionen, aber das bedeutet nicht, dass die Feinde Israels unsere Feinde sind. Wir weigern uns, diese Position/ dieses Standing ein- bzw. anzunehmen.
Man kann es eine politische oder eine moralische Frage nennen, aber wer seine Prinzipien ändert, je nachdem, mit wem er zu tun hat, der kann keine Nation führen.
Mandela’s Worte an Moderator Koppel:
Offensichtlich haben Sie, Herr Koppel, meinen Argumenten nicht zugehört. Wenn Sie das getan haben, dann haben Sie sich nicht ernsthaft mit ihr auseinandergesetzt. Ich habe einem unserer Freunde hier geantwortet, daß ich es ablehne, in die Differenzen zwischen verschiedener Gemeinschaften innerhalb der USA hineingezogen zu werden. Sie haben sich nicht dazu geäußert, daß ich irgendjemandem zu nahe trete, wenn ich mich weigere, mich in die innerstaatlichen Angelegenheiten der USA einzumischen. Warum sind Sie so scharf darauf, dass ich mich in Kuba und Libyen einmische? Ich erwarte von Ihnen, dass Sie konsequent sind.
Dann wurde es ganz still im ganzen Saal, keine Bewegungen..
Mandela daraufhin zum Moderator Koppel:
Ich weiß nicht, ob ich Sie „paralysiert“ habe.